Urteile in Asylverfahren fällen und gleichzeitig im Kirchenvorstand Verantwortung tragen – wie passt das zusammen? Beate Schabert-Zeidler war viele Jahre Richterin am Verwaltungsgericht und hat sich 36 Jahre lang ehrenamtlich in der Kirche engagiert. Sie kennt beide Seiten: den nüchternen Blick des Verwaltungsrechts und das Engagement für eine Kirche mit Haltung. Ein Gespräch über Verantwortung, Glauben und die Frage, wie man Kirche in Zukunft gestalten kann.
Ihr berufliches Leben war von drei Bereichen geprägt: Richterin am Verwaltungsgericht, Stadträtin und ehrenamtliches Engagement in der Kirche. Wie ist das eigentlich, als gläubige Christin Urteile fällen zu müssen?
Schabert-Zeidler: Da hatte ich am Anfang schon ein Problem. Als Verwaltungsrichterin war ich für Asylverfahren verantwortlich. Und beim Thema Asyl greift man natürlich in das Leben eines Menschen ein. Indem man entscheidet, ob er hierbleiben darf oder nicht. Aber: Menschen müssen sich auch an die von demokratischen Gremien verfassten Gesetze halten. Und deswegen war das für mich gar nicht so schwierig. Es ist ein bisschen wie die Zwei-Reiche-Lehre von Luther: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und gebt Gott, was Gott ist. Das heißt: Ein Land, das im Grundgesetz verankert hat, dass es Asyl gewährt, muss aber auf der anderen Seite auch das Recht haben zu entscheiden, wer bekommt Asyl und wer nicht. Sonst werden wir beliebig.
Gibt es eine biblische Geschichte oder ein christliches Prinzip, das dich bei deiner juristischen Arbeit begleitet hat?
Schabert-Zeidler: Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Artikel hat christliche Wurzeln. Und der zweite Satz, der bei uns im Beratungszimmer hing und von Thomas von Aquin stammt: „Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Willkür. Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit ist die Mutter der Auflösung.“ Diese zwei Prinzipien waren mir schon immer sehr wichtig.
Wo Sie das Thema Barmherzigkeit ansprechen. Was braucht unsere Gesellschaft gerade mehr: Mehr Mut zur Barmherzigkeit oder mehr Mut zu klaren Regeln?
Schabert-Zeidler: Meine Meinung ist, dass wir derzeit mehr Mut zu klaren Regeln brauchen. Und mehr Mut auch mal zu sagen, was nicht geht. Ich bin etwa der festen Überzeugung, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes bei dem Asyl gedacht haben: Das ist ein Recht auf Zeit. Solange jemand verfolgt ist oder in seinem Land Krieg ist, so lange soll er hier in Deutschland Schutz bekommen. Aber das ist immer ein Recht auf Zeit. Und das geht gerade ein bisschen verloren. In vielen Dingen wünsche ich mir einfach wieder mehr klare Haltung und mehr Mut, auch mal Nein zu sagen.
Sie waren 36 Jahre im Kirchenvorstand. Was hat sich aus Ihrer Sicht in dieser Zeit besonders gewandelt?
Schabert-Zeidler: Zum Guten hat sich sicher gewandelt, dass es gar kein Thema ist, dass Frauen Pfarrerinnen werden können. Dass Frauen im Kirchenvorstand sind. Dass Frauen Leitungsämter übernehmen können.
Herausfordernd finde ich, dass zunehmend Minderheiten meinen, die Kirche bestimmen zu können. Als Volkskirche müssen wir schauen, dass wir ganz viele Strömungen unter einen Hut bringen. Herausfordernd finde ich auch, dass so viele Menschen unsere Kirche verlassen und dass vor allem auch das Geld weniger wird. Da müssen wir neue Wege suchen.
Neue Wege? Wie muss sich Kirche denn in Zukunft verändern?
Ich denke, dass es kommen wird, dass wir Pfarreien bilden. Und dass nicht mehr jeder Pfarrer, jede Pfarrerin für alles zuständig ist. Sondern dass sie Schwerpunkte haben werden – wie etwa Jugendarbeit, Senioren, Familien oder Kasualien. Ich denke, da werden ganz andere Zusammenarbeiten entstehen müssen und das finde ich auch schön.
Sie haben auch das Thema Kirchenaustritte angesprochen. Ist es nicht mehr die Zeit für Glauben?
Ich weiß nicht, ob es nicht die Zeit für Glauben ist. Die östlichen Religionen boomen ja unglaublich: Hinduismus, Buddhismus. Da meint man, man findet das Seelenheil.
Ich glaube, ein Grund für die Austritte ist wirklich das Geld. Ein Steuerberater hatte meiner Schwiegertochter etwa mal den Tipp gegeben: Wenn Sie sparen wollen, treten sie doch aus der Kirche aus.
Das andere Argument ist, dass einige Menschen alles in einen Topf schmeißen. Wenn in der katholischen Kirche was ist, treten sie auch bei uns aus.
Und: Viele Kinder sind heute nicht mehr getauft. Für Religion ist heute oft zu wenig Zeit. Aber es ist auch nicht nur die Religion. Eltern haben keine Zeit, ihren Kindern vorzulesen. Eltern haben keine Zeit, mit ihren Kindern zum Schwimmen zu gehen. Aber Elternsein ist ja nicht nur, ein Kind in die Welt zu setzen. Man hat eine Verantwortung. Und dazu gehört für mich auch die religiöse Erziehung.
Wie kann Kirche denn wieder mehr junge Menschen für sich gewinnen?
Bei unserer Vesperkirche in St. Paul im Februar sind so viele Menschen gekommen. Es geht. Ich denke, wir müssen als Kirche rausgehen in neue Felder. Die Menschen müssen sehen, dass Kirche für sie da ist und ihnen etwas bringt.
Was ich interessant finde: Nach Unglücken oder nach Katastrophen,sind die Gottesdienste immer voll. Die Menschen suchen also nach etwas. Diese Suche sollte wir wieder stärker in den Vordergrund stellen. Und dass wir als evangelische Kirche eine ganz tolle Botschaft haben. Dass Jesus Christus für uns gestorben ist und wir gerechtfertigt sind durch unseren Glauben. Das müssen wir wieder deutlich an die Menschen heranbringen.
Kommen wir zurück zu Ihrem langjährigen Engagement für die Kirche: Gibt es ein Thema, wofür Sie sich im Kirchenvorstand besonders eingesetzt haben?
Schabert-Zeidler: Das ist zum Beispiel der Segnungsgottesdienst zum Ruhestand. Als ich 2019 am Verwaltungsgericht in den Ruhestand gegangen bin, hatte ich ein tolles Fest. Aber einen Segen wie er bei Pfarerrinnen und Pfarrern üblich ist, gab es leider nicht. Das habe ich dann mit Pfarrerin Bettina Böhmer-Lamey von der Innencitykirche besprochen. Daraus ist nun der Segnungsgottesdienst „Wenn der Wecker nicht mehr klingelt“ geworden – eine Initiative, die mittlerweile bayernweit immer mehr aufgegriffen wird. Das freut mich ungemein.
Jetzt ziehen Sie sich aus dem Ehrenamt zurück – nach 36 Jahren. Worauf freuen Sie sich jetzt?
Ich freue mich einfach auf mehr freie Zeit. Aber alle Ehrenämter gebe ich nicht auf. Ich bleibe noch in der Stetten-Administration. Ich bin auch noch in der Stiftung im Vorstand. Und in der Vesperkirche werde ich ganz sicher die zwei Wochen wieder ganz intensiv mitmachen. So ganz höre ich also nicht auf. Aber ich freue mich auf mehr freie Zeit.
Wie werden Sie Ihre freie Zeit denn nutzen?
Wir verreisen gerne. Wir haben Enkelkinder in Nordrhein-Westfalen, in Nürnberg und in Ellwangen. Die zu besuchen, macht mir immer wieder Spaß. Aber mir macht es inzwischen auch Spaß, meinen Kuchen zu backen oder zu kochen. Freunde zu besuchen und meinen Garten zu hegen und pflegen. Und mich aufs Fahrrad zu setzen und in die westlichen Wälder zu radeln. Ohne terminliche Verpflichtung.